Die Liste jener österreichischen Supermarkt-Namen, die sich in die ewigen Handels-Jagdgründe verabschiedet haben, ist lang. Zielpunkt, Pam Pam, Löwa, Plus, Mondo, A&O und natürlich Konsum. Nun also findet sich auch Merkur auf der Liste. Vor wenigen Tagen verkündete Marcel Haraszti, der zuständige Rewe-Vorstand, die Marktbereinigung: Mit April wird Merkur vom Markt verschwinden. Sämtliche Filialen werden künftig unter dem neuen Namen Billa Plus firmieren. Knapp sieben Jahre nach der berühmten Merkur-Werbefigur Mr. Ano Nym wird nun also auch die gesamte Kette entsorgt beziehungsweise „neu gedacht“. Wobei: Ganz verschwinden wird Merkur nicht, wenn man es genau nimmt. Denn als Tankstellenshop „Merkur inside“ soll der Name bei BP erhalten bleiben. Aber im Lebensmittelhandel ist Schicht.
Über die Gründe ist in Presseaussendungen, Tageszeitungen, Fachmedien und auf Social Media in den vergangenen Tagen viel geschrieben worden. Der Verlust der Marktführerschaft in Österreich spielt sicher eine große Rolle. Spar hat mit einer mehr oder weniger monothematischen Strategie die bunte Rewe-Welt an der Spitze nicht nur eingeholt, sondern überholt und abgehängt. Klar, auch bei Spar gibt es unterschiedliche Vertriebslinien. Aber egal ob Spar, Eurospar, Interspar oder Gourmet Spar – unterm Strich ist jedes einzelne Geschäft klar als Spar-Markt definiert.
Ein Abschied auf Raten
Die Rewe fuhr seit ihrem Markteintritt in Österreich im Jahr 1996 eine gegensätzliche Strategie. Und ist damit gescheitert. Zumindest wenn es um die Marktführerschaft geht. Jahrelang klagten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Wiener Neudorf über die Reibungsverluste, die durch die interne Rivalität zwischen Merkur und Spar entstanden sind. Das hat auch die Kölner Unternehmensführung irgendwann erkannt und vor einigen Jahren damit begonnen, die Österreich-Tochter auch organisatorisch wieder näher an den Mutterkonzern zu binden. Mit dem Abgang von Frank Hensel wurde zuallererst das Amt des Vorstandsvorsitzenden abgeschafft. An seiner Stelle wurden mehrere Bereichsvorstände installiert, die jeweils für ihre Bereiche ans Kölner Mutterhaus berichten. Dann wurde der Einkauf von Billa und Merkur zusammengelegt und der Onlineshop von Merkur geschlossen. Im Sommer 2020 folgte dann der nächste Schritt mit der Gründung der neuen Dachorganisation Billa Merkur Österreich. Die Supermärkte und Restaurants von Merkur werden seit dem 1. September 2020 durch die Billa AG / Abteilung Merkur betrieben. Der Betrieb wurde von der Merkur Warenhandels AG abgespalten und von der Billa AG im Wege der Gesamtrechtsnachfolge aufgenommen. KEYaccount roch den Braten schon damals. Wir titelten seinerzeit: „Billa und Merkur verschmelzen“ (siehe KEYaccount-Ausgabe 12/13 2020). Der von KEYaccount bereits im Vorjahr geahnte nächste Schritt – eine Zusammenlegung der beiden Ketten – wurde damals freilich noch vonseiten der Rewe dementiert. In zwei Monaten folgt nun der vorläufig letzte und aufsehenerregendste Schritt: Die Marke Merkur wird nach 52 Jahren vom Markt genommen.
Zweistelliger Millionenbetrag
Die Umstellung lässt sich die Rewe einiges kosten. Auf KEYaccount-Anfrage sagte Rewe-Vorstand Haraszti, dass man dafür einen zweistelligen Millionenbetrag in die Hand nehmen würde. Offenbar finanziert sich dieser Betrag zumindest teilweise über bereits getätigte Einsparungen. Haraszti: „Durch die bereits erfolgte Verschlankung der Verwaltung und die daraus resultierenden Einsparungen investieren wir jetzt einen zweistelligen Millionenbetrag direkt in Kundenvorteile und Standorte, damit unsere Kundinnen und Kunden das Beste aus zwei Welten erhalten. Einerseits das vielfältige Sortiment und die Frische-Kompetenz von Merkur und auf der anderen Seite die Nähe und österreichweite Präsenz – stationär und mit dem Online Shop – von Billa.“ Freilich: Der Teufel steckt hier im Detail. Was passiert etwa mit den Merkur-Eigenmarken? Haraszti: „Mit dem Pilotprojekt ,Billa zu Gast bei Merkur‘ wurden bereits vor einem Jahr Billa-Eigenmarken in Merkur-Märkten angeboten und von unseren Kunden sehr gut angenommen. Nun werden die Merkur-Eigenmarken integriert und fortan unter der Billa-Eigenmarke geführt. Zudem ermöglicht der Zusammenschluss der beiden Vertriebsformate Billa und Billa Plus eine einfache, klare und starke Preis- und Aktionspolitik – auch bei den Eigenmarken. Davon profitieren unsere Kundinnen und Kunden.“
Diese „einfache, klare und starke Preis- und Aktionspolitik“, die nun kommen soll, weckt in der Markenartikelindustrie natürlich Unbehagen. Mehrere Produzenten haben in den vergangenen Tagen im Gespräch mit mir ihre Befürchtungen deponiert, dass die Billa-Plus-Umstellung auch auf dem Rücken der Lieferanten ausgetragen werden könnte. Einige befürchten, dass womöglich sogar kostspielige Hochzeitsboni auf die Lieferanten zukommen könnten. Öffentlich wollte diese Bedenken freilich niemand äußern. KEYaccount hat darum bei Günter Thumser, Geschäftsführer des Österreichischen Markenartikelverbandes, nachgefragt. Als langjähriger Präsident von Henkel CEE kann Thumser ein Lied über Preisverhandlungen mit dem LEH singen. Thumser findet angesichts der Billa-Plus-Umstellung klare Worte: „Es gibt seit zwei Jahren einen Wohlverhaltenskatalog, der gerade auch vom Rewe-Management mitgetragen wurde. Darin werden Forderungen wie Hochzeitsboni als nicht rechtmäßig qualifiziert. Überhaupt: Wo ist hier die Mehrleistung? Es ist eine Minderleistung! Eigentlich müsste die Rewe der Industrie etwas zahlen.“
Rätselraten um neue Bio-Marke
Apropos Marken: Für Aufsehen sorgte in der Branche eine weitere Ankündigung der Rewe: So soll das Bio-Sortiment ausgebaut werden. Dazu wird eine neue Marke – Billa Bio – mit rund 130 Produkten starten. Wie sich diese Marke im Verhältnis zur bestens eingeführten Rewe-Bio-Marke Ja! Natürlich positionieren wird, wird sich weisen. Laut Rewe soll die neue Marke „breitenwirksam das Sortiment von Ja! Natürlich verstärken“. Diese Ankündigung sorgte bei Branchenkennern für Kopfschütteln. „Warum kannibalisiert die Rewe die erfolgreichste Eigenmarke, die sie im Portfolio hat“, fragte mich ein Branchenkenner am Telefon. Eine Antwort von mir erwartete er nicht. Es handelte sich um eine rhetorische Frage.
Der Mitbewerb wundert sich
Im Zuge der Recherche zu dieser Story habe ich auch versucht, bei Rewe-Mitbewerbern Stimmen zum Merkur-Aus einzuholen. Freilich: Kein Manager spricht gerne öffentlich über Aktivitäten des Mitbewerbers. Hinter vorgehaltener Hand – im Journalismus gerne „off records“ genannt – verrieten mir Top-Manager, dass sie die Strategie des ehemaligen Marktführers nicht ganz nachvollziehen können. Ein Spar-Insider zeigte sich verwundert, dass eine „so gut eingeführte und beliebte Marke wie Merkur“ über Nacht vom Markt verschwindet. Derselbe Insider sprach dann sogar von einem „existenzbedrohenden Managementfehler“. Ein anderer Manager eines Mitbewerbers meinte, dass er nicht verstehen könne, warum man die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Merkur derart vor den Kopf gestoßen hat. „Jahrzehntelang waren Merkur und Billa Konkurrenten. Nun sollen die Merkur-Leute einfach die Billa-Uniform anziehen. Das muss für diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wie eine feindliche Übernahme aussehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das für die Motivation gut ist.“ Der Tenor bei Spar ist einhellig: Der Konzern ist sich nun ziemlich sicher, dass man die Marktführerschaft 2021 nicht nur verteidigen, sondern sogar noch ausbauen wird können.
Zugegeben: Man muss die Kommentare der Mitbewerber mit einer Prise Salz konsumieren. Daraus spricht immer auch eine gewisse Schadenfreude, dass die ehemalige Nummer eins im LEH aktuell eine Baustelle zu sein scheint. Trotzdem fällt auf, dass die Reaktionen durch die Bank negativ sind. So richtig Sinn macht der drastische Schritt weg von Merkur für niemanden. Auch der österreichische Marken- und Branding-Experte Michael Brandtner sieht das Merkur-Aus kritisch. Lesen Sie dazu in der aktuellen KEYaccont-Printausgabe vom 10.02.2021.
„100 zusätzliche Märkte“
Marcel Haraszti und sein Team wollen sich von den Querschüssen freilich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Der eingeschlagene Weg wird nun weitergegangen. Haraszti: „Unser Ziel sind 100 zusätzliche Märkte in den kommenden fünf Jahren, wobei für uns Expansion keinen Selbstzweck darstellt. Unser Ziel sind moderne Standorte mit erkennbarem Mehrwert für unsere Kundinnen und Kunden: mit einer Vielfalt an zusätzlichen Dienstleistungen wie Paketabholung, Click & Collect oder E-Ladestationen, und wenn möglich auch Räumlichkeiten oberhalb der Filialen, die zum Beispiel für Wohnungen, Kindergärten oder Ärztezentren genutzt werden können.“
Marktplatz-Konzept bleibt
Die Zukunft wird zeigen, ob die neue Strategie erfolgreich sein wird. Mutig ist der Schritt allemal. Die große Frage der kommenden Wochen wird folgende sein: Werden die Merkur-Kundinnen und -Kunden den neu eingeschlagenen Weg mitgehen und zu Billa Plus wechseln? In einer Sache müssen die Merkur-Konsumentinnen und -Konsumenten nicht umlernen: Das vor einigen Jahren eingeführte Marktplatz-Konzept bleibt auch unter der Billa-Plus-Flagge erhalten, wie Haraszti KEYaccount bestätigte: „Ja, das Merkur-Einkaufserlebnis bleibt erhalten – von der Vielfalt im Sortiment, der Qualität sowie der Frische-Kompetenz der Merkur-Großfläche bis hin zu den vor Ort frisch hergestellten Produkten. Niemand wird auf Süßes aus der Markt-Konditorei verzichten müssen.“ Mal sehen, wie lange die Schatten der Vergangenheit ins neue Billa-Plus-Zeitalter hinüberreichen.