KEYaccount: Sie kommen ursprünglich aus dem Journalismus und wechselten dann 2010 zur Rewe, wo Sie seither die Stabsstelle für Nachhaltigkeit leiten. Wie sind Sie von hier nach dort, also vom Journalismus zur Nachhaltigkeit gekommen
Tanja Dietrich-Hübner: Ursprünglich habe ich als Journalistin bei einem protestantischen Privatradio gearbeitet. Ungefähr vier Jahre vor meinem Rewe-Engagement habe ich mich als Beraterin selbstständig gemacht und zusätzlich ein Post Graduate-Studium im Bereich CSR und Kommunikation an der Uni Wien absolviert. Mein Plan war damals, dass ich vom Kommentieren ins Tun kommen möchte. Das Thema Nachhaltigkeit war mir dabei schon als Journalistin immer ein zentrales Anliegen. Da hat es gut gepasst, dass Rewe 2010 in diesem Bereich jemanden gesucht hat.
2010 war in Sachen Nachhaltigkeit noch eine andere Welt. Wie muss man sich Ihren Arbeitsbeginn vorstellen? Sind Sie mit offenen Armen aufgenommen worden oder sind Sie auch gegen Mauern gelaufen
Beides. Wenn man solche Transformationen erlebt, hat das immer auch etwas mit dem Mindset zu tun. Und natürlich läuft man da auch gegen Mauern. Ich gebe Ihnen ein ungewöhnliches Beispiel. Heute sind wir stolz auf unser Facility Management, also darauf, wie biodivers etwa die Begrünungen unserer Filialen oder die Wiesen davor sind. Damals wurde das nur als Kostenpunkt gesehen. Da war anfangs auch wenig Verständnis dafür da. Vielmehr war man der Meinung, dass viel Asphalt, also wenig Bäume und damit möglichst viele Kundinnen- und Kundenparkplätze, das Wichtigste seien. Das hat sich zum Glück verändert. Aber auch beim Thema Produktzertifizierungen gab es Widerstände. Auch hier hat sich in den vergangenen Jahren viel getan.
Wenn Sie an diese ersten Jahre zurückdenken. Gab es so was wie einen Turning Point, ab dem das Thema auch intern an Bedeutung gewonnen hat?
Da muss ich unseren ersten Nachhaltigkeitsbericht 2009/2010 nennen. Anfangs ist er im zweijährlichen Abstand, später dann jährlich erschienen. Mit diesem ersten Nachhaltigkeitsbericht hatten wir endlich eine Innenperspektive und konnten reflektieren, was wir in diesem Bereich machen. Danach haben sich im Management nachhaltige Überzeugungen und Strategien viel besser ausgebreitet.
Wo war die Nachhaltigkeit damals eigentlich organisatorisch angesiedelt?
Wir waren eine Stabsstelle, die beim damaligen Vorstandsvorsitzenden Frank Hensel angesiedelt war. Das war auf der einen Seite ein Vorteil, weil wir direkt beim Chef Überzeugungsarbeit leisten konnten, andererseits waren wir damals noch nicht operativ tätig. Heute ist das anders. Seit vier Jahren ist die Nachhaltigkeit Teil der Billa-Organisation, was für uns ein großer Vorteil ist.
Und zwar warum
Weil du Handel erst dann richtig verstehst, wenn du mitten in der Handelsorganisation eingebettet bist und mit dem Vertrieb und den Kolleginnen und Kollegen vor Ort in den Geschäften zusammenarbeitest.
Wenn Sie auf Ihre 13 Jahre bei Rewe zurückblicken: Auf welche Errungenschaften in Sachen Nachhaltigkeit sind Sie besonders stolz? Gibt es vielleicht sogar ein Projekt, das Ihnen besonders ans Herz gewachsen ist
Es sind zwei Themen, mit denen ich sehr verbunden bin und die auch von meiner Abteilung und von mir persönlich stark vorangetrieben wurden. Da wäre zum einen die Billa-Stiftung Blühendes Österreich. Dabei handelt es sich um eine gemeinnützige Privatstiftung, die sich für den Schutz der heimischen Biodiversität einsetzt. Darauf bin ich schon allein deshalb stolz, weil die Implementierung einer Stiftung innerhalb eines Handelsunternehmens wirklich kein leichtes Unterfangen war. Die Stiftung haben wir gemeinsam mit der Naturschutz-Organisation Birdlife Österreich gegründet. Birdlife hat auch einen fixen Sitz im Vorstand. Damit ist gewährleistet, dass wir stets kritisch begleitet werden. Es geht ja nicht darum, dass wir uns selbst beweihräuchern, sondern darum, die Sache voranzubringen. Demnächst stellen wir hier unsere Strategie bis 2030 vor.
Und das zweite Projekt, das Ihnen besonders am Herzen liegt?
Das zweite ist ganz klar das Tierwohl-Thema. Das habe ich mit aufgebaut. Bei Ja! Natürlich war es uns seit jeher ein Anliegen, bei Tierschutzanliegen deutlich über dem klassischen Bio-Standard zu liegen. Im konventionellen Bereich ist aber lange kaum etwas weitergegangen. Wir haben vieles probiert, aber das meiste blieb in der Nische stecken. Dann wurde von den Kolleginnen und Kollegen aus dem Einkauf und dem Vertrieb die Idee der Billa-Tierwohltheke geboren. Bei allen Billa- und Billa-Plus-Märkten mit Frischfleisch in Bedienung wurde das Sortiment auf Tierwohl umgestellt. Gleichzeitig haben wir die Tierwohl-Standards ausgeweitet und erhöht. Unter anderem wurde auch ein Programm für Schwein entwickelt und das Programm für Rind verbessert. Das war ein Kraftakt. Mir war dabei immer eines ganz wichtig: Wir dürfen ja nicht das Minimum machen und es als Maximum verkaufen. Alle Errungenschaften im Bereich Tierwohl haben wir im Dialog mit unseren Kundinnen und Kunden gemacht. Denn ihnen mussten und müssen wir erklären, warum Tierwohl-Produkte teurer sind.
Weil Sie gerade die Konsumentinnen und Konsumenten erwähnt haben: Man hat das Gefühl, dass das Thema Nachhaltigkeit in den vergangenen Jahren ein wenig in den Hintergrund gerückt ist. Andere Themen, etwa Corona, Teuerungen, geopolitische Krisen oder Kriege standen zuletzt im Fokus des öffentlichen Interesses. Wie kann man die Nachhaltigkeit wieder mehr in den Mittelpunkt rücken?
Die Dinge hängen unmittelbar zusammen, manchmal auf eine Art und Weise, wie man es auf den ersten Blick gar nicht sieht. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Im Zuge des Ukrainekrieges sind im Vorjahr die Preise für Pestizide und Düngemittel enorm gestiegen. Davon hat der biologische Sektor sehr profitiert, weil der Preisunterschied zwischen biologisch und konventionell produzierten Produkten geringer geworden ist. Prinzipiell gilt: Das Thema Nachhaltigkeit ist inzwischen Mainstream. Daran kommt niemand mehr vorbei. Auf politischer Ebene gewinnt das Thema immer mehr an Bedeutung. Denken Sie nur an den europäischen Green Deal. Das wichtigste Ziel ist hier die Erreichung der Klimaneutralität bis 2050. Da kommt eine Menge an neuen Regulierungen und Aufgaben auf uns alle zu.
Vorhin habe ich Sie über Ihre Lieblingsprojekte gefragt. Gab oder gibt es im Gegenzug auch Anliegen, die Ihnen wichtig waren und die Sie nicht oder zu wenig umsetzen konnten?
Ein sehr schwieriger Bereich ist das Thema Verpackung. Die Verpackungsindustrie war nie der Front Runner in Sachen Nachhaltigkeit, wobei man gleich hinzufügen muss, dass es gerade in diesem Bereich große Hürden gibt. Kaum jemand ist bereit, für nachhaltige Verpackungen mehr zu zahlen. Für bessere und hochwertigere Produkte? Sofort! Für grüne Verpackungen? Eher nicht. Auch in diesem Bereich hat Ja! Natürlich von Anfang an viel getan. Denken Sie nur an unsere Grasverpackungen oder an das Comeback der Milchflaschen.
Hier tut sich aber sehr viel im Moment – Stichwort verpflichtender Einwegpfand.
Ja, das stimmt natürlich. Aber Nachhaltigkeit heißt für mich nicht unbedingt Regulierung, sondern freiwilliges Vorangehen.
Sie haben jetzt schon mehrfach Ja! Natürlich erwähnt. Österreich gilt als Bio-Vorzeigeland – und Rewe war in diesem Bereich ganz klar ein Vorreiter. Ist hier aus Ihrer Sicht der Plafond erreicht oder wird es in diese Richtung weitergehen?
Wir hatten zuletzt im Bio-Segment trotz der Preisdebatten keine nennenswerten Einbrüche. Das ist schon mal sehr erfreulich. Da sieht man auch, wie wichtig den Menschen biologische Lebensmittel sind. Wir werden mit Ja! Natürlich immer Pioniere bleiben und auf Innovationen setzen. Ob wir in Zukunft zweistellige Wachstumsraten haben werden? Da bin ich vorsichtig. Im Obst- und Gemüsebereich sowie im Fleischbereich ist aber in Österreich noch einiges an Wachstum möglich. Abgesehen davon möchte ich aber auch die positive Entwicklung von Bio-Landwirtschaft im Ausland erwähnen. Wenn man hierzulande von Bio spricht, meint man zumeist österreichische Produkte. Aber die höheren Bio-Standards haben auch positive Auswirkungen auf die Länder des globalen Südens.
Das Thema Gleichberechtigung ist ein wichtiger Teil der Nachhaltigkeit. Die Handelsbranche ist traditionell stark patriarchal geprägt. Wie beurteilen Sie hier die Veränderungen in den letzten Jahren
Auch wenn die Diversity-Managerin bei mir angesiedelt ist und das Thema vom HR getrieben wird, ist es entscheidend, dass auch die anderen Abteilungen eine gewisse Awareness entwickeln. Das ist uns sehr gut gelungen, wie ich finde, etwa beim Thema Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Behinderungen. Was die Themen Gleichberechtigung und Frauenanteil angeht: Im Top-Management haben wir bei Rewe einen Frauenanteil von zehn Prozent. Okay, das ist sehr überschaubar. In der nächsten Ebene liegen wir immerhin schon bei 27 Prozent. Das Wichtigste ist, dass wir hier den Fokus darauf haben. Bei Billa beträgt der Frauenanteil im Unternehmen 73 Prozent. Für die Zukunft wünsche ich mir im Management ein ausgewogeneres Verhältnis.
Letzte Frage: Sie ¸bergeben mit Anfang Jänner die Nachhaltigkeitsagenden an Andreas Streit und wechseln in die Unternehmenskommunikation. Was steht hinter diesem beruflichen Schritt?
Aus familiären Gründen habe ich mich dazu entschlossen, meine Stundenzahl zu reduzieren. Ich werde aber weiterhin als Expertin die Fahne der Nachhaltigkeit für Rewe und Billa hochhalten und die damit verbundenen Themen nach außen tragen.