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© Hannes Eisenberger

Analyse

Manchmal online, manchmal offline

Ein Artikel von Wolfgang Zechner | 27.09.2023 - 12:46

Das sogenannte Multi-Channel-Shopping, also Einkaufen sowohl im Internet als im Geschäft, ist in Österreich weiterhin auf dem Vormarsch. Inzwischen hat das hybride Einkaufsverhalten bereits den klassischen Einkauf im Laden überholt. Mehr noch: In Österreich ist die Zahl jener Menschen, die hybrid shoppen, mit 65 Prozent bereits fast doppelt so hoch wie jene, die exklusiv im stationären Handel einkaufen (34 Prozent). Wie dynamisch die Entwicklung hier ist, sieht man, wenn man sich die Zahlen von vor 15 Jahren ansieht. Damals war das Verhältnis noch umgekehrt. Es gab 2008 also nur halb so viele Multi-Channel-Konsumentinnen wie Offline-Only-Käuferinnen. Das alles geht aus einer aktuellen Analyse des Linzer IHaM hervor, in die unter anderem zwei Onlinebefragungen bei insgesamt 2.000 Konsumentinnen und Konsumenten, Erhebungen der Statistik Austria und da­rauf aufbauende Berechnungen des Instituts eingeflossen sind.

Multi-Channel: jünger, qualitätsaffin

Reine Online-Shopperinnen und -Shopper muss man aber nach wie vor mit der Lupe suchen. Nur ein Prozent kauft laut den Linzer Expertinnen des Instituts für Absatz und Marketing ausschließlich im Internet ein. Das liegt logischerweise an der unüberwindbaren Dominanz des stationären Lebensmittelhandels. Hierzulande konkurriert der Online-Lebensmittelvertrieb mit einer europaweit sehr hohen Dichte an Lebensmittelgeschäften. Multi-Channel-Shopperinnen und -Shopper sind laut der Analyse tendenziell jünger. Während in der Alterskategorie 16-24 Jahre rund acht von zehn sowohl on- als auch offline einkaufen, sind es in der ältesten betrachteten Kohorte (65-74 Jahre) knapp drei von zehn. In Bezug auf die Käufertypen zeigen sich zudem zwei Auffälligkeiten. Die erste ist naheliegend, die zweite überrascht. Da wären zum einen jene, die einkaufen als soziales Ergebnis begreifen, dabei andere Menschen treffen und sich gerne beraten lassen. In dieser Personengruppe ist der Anteil der Online-Verweigerer besonders hoch. So weit, so logisch. Eine andere Erkenntnis ist aber extrem interessant: Im Multi-Channel-Segment ist der Anteil jener, die beim Einkaufen den größten Wert auf die Qualität der Produkte legen, bei Multi-Channel-Shopperinnen und -Shoppern besonders hoch. Das macht diese Zielgruppe gerade für den Fachhandel besonders attraktiv.

15 Prozent mehr Haushaltseinkommen

Warum das Multi-Channel-Segment als Zielgruppe für den Einzelhandel so interessant ist, liegt aber nicht nur an der Gruppengröße, sondern auch an der höheren Kaufkraft. Multi-Channel-Shopperinnen und -Shopper verfügen im Vergleich zu Offline-Kundinnen und -Kunden im Durchschnitt um ein 15 Prozent höheres Haushaltseinkommen. Eng damit verbunden ist auch der höhere Bildungsgrad im Multi-Channel-Bereich. Und auch die steigende Inflation führt dazu, dass der Multi-Channel-Ansatz für den Handel noch attraktiver wird: Laut der Analyse versuchen Multi-Channel-Shopperinnen und -Shopper vergleichsweise häufiger bei anderen Ausgaben zu sparen und eben nicht bei den Einkäufen im Einzelhandel. Auch interessant sind die Auswirkungen aufs anstehende Weihnachtsgeschäft. Laut dem Zahlenmaterial, das den Linzer Forscherinnen und Forschern vorliegt, haben Menschen, die sowohl online als auch offline einkaufen, in den letzten Jahren im Durchschnitt um 20 Prozent mehr für Geschenke ausgegeben als jene, die ausschließlich in Läden gehen. Nicht nur darum glaubt IHaM-Experte Ernst Gittenberger, dass die aktuelle Krise den Trend zum Multi-Channeling noch einmal beschleunigen wird: „Die Teuerungskrise hat die Versorgungsketten fest im Griff und das Konsumklima ist nach wie vor im Keller. Die ungewöhnlichen und herausfordernden Zeiten zwingen die Handelsunternehmen, sich neu zu erfinden und an ihren Geschäftsmodellen zu feilen. Die Zeit der Ein-Kanal-Distributionsstrategien scheint sich dem Ende zuzuneigen, nicht zuletzt, da Konsumentinnen und Konsumenten die Kanal-Wahlfreiheit, also On- und Offline, schlichtweg verlangen und Multi-Channel in Bezug auf Größe und Kaufkraft die attraktivere Kundinnen- und Kundengruppe darstellt.“ Trotzdem sei bei der Implementierung einer konsequenten Multi-Channel-Strategie Vorsicht angebracht, warnt Gittenberger. „Denn was in der Beratungspraxis so einfach klingt, ist tückisch und manchmal sogar reputationsschädigend, wenn der Gold-Standard des Multi-Channeling nicht erreicht wird. Vor allem müssen unternehmensintern die notwendigen Ressourcen parat stehen. „Multi-Channeling bedarf einer grundlegenden Überarbeitung aller Distributionsprozesse und eine kompromisslose Integration aller Kanäle, in deren Zentrum die Kundinnen und Kunden stehen – eine Mammutaufgabe, bei der der Return on Investment nicht aus den Augen verloren werden darf“, so Gittenberger.

„Mutige Antwort auf Krise“

Bleibt noch die Frage, ob Multi-Channel tatsächlich für jedes Handelsunternehmen die richtige Strategie sei. „Natürlich nicht“, sagt IHaM-Institutsvorstand Christoph Teller. Viel hänge nämlich von der Distributionspräferenz der Kernklientel sowie von der Innovationskraft des Handelsunternehmens ab. Tellers Resümee: „Multi-Channel ja, wenn machbar und sinnvoll. Gelingt die Metamorphose zum Multi-Channel-Händler, kann dadurch ein strategisch und schwer imitierbarer Wettbewerbsvorteil generiert werden. Multi-Channel ist also quasi eine mutige Antwort auf die Krise.“